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  • Autorenbildjohanna

Beziehung und Borderline: Das stürmische Meer aus Emotionen und Abhängigkeit



ich bin traurig. es ist keine traurigkeit, weil es regnet und der graue wolkenbehangene regen mir meine eigene schwere zeigt. es ist keine traurigkeit, weil ich etwas falsch gemacht habe und keinen ausweg sehe. es ist nicht das weinen einer depression, weil ich nicht mehr aufstehen will.


es ist eine traurigkeit, der tiefe liebe voran ging. liebe, die so stark war und lange hätte sein können, aber niemals nur die zwei liebenden betraf. alte dämonen und geister legten immer wieder ihren zerstörerischen finger auf das zarte band und mit jedem mal entstand ein neuer, kaum wahrnehmbarer riss.


die trauer rollte unerkannt wie eine lawine auf mich ein. sie berührte mich und ohne gegenwehr, weil so überraschend - so unbewusst, nahm ich sie wahr, spürte sie. eine bewegung, beinahe elegant, wie sie sich hinter mir aufbaute, mit hauchdünnen rauchschwaden mir nähernd. sich hinter meinem rücken aufwölbte, größer werdend, meinen sauerstoff zersetzte und schnell ersetzte, mich einatmen ließ. und das tat ich, tief und nichts ahnend floss sie von kopf bis fuß, durch jede zelle, jede pore, um unter meinen füßen alles wegzuziehen. diese kraftvolle bewegung zersplitterte meinen fragilen lebensboden wie einen spiegel in tausend stücke, schnell brökelte er, um leise doch machtvoll wegzubrechen. mein unterkörper reißt mit dieser bewegung mit, ich falle in dieses schwarze loch, falle endlos und lande hart im bett. in meine altbekannte stellung, embryo mit schmerzverzerrtem gesicht, gekrümmt vor pulsierender, hämmernder bewusstheit, was ich angerichtet habe. tränen stehen in meinen augen, ich spüre alles und alles tut weh. ich habe ihn verloren.


tränen rinnen nun dick über meine wangen und tropfen warm aufs kissen, ich schluchze, ich hole tief luft, um kraft für die nächste erschöpfende welle an tränen zu sammeln. und heute sind es nicht nur wellen, heute ist es das stürmische meer. das meer in mir, die diese wogen voller schmerz an die innenwände meines körpers stürzt. sie prallen schmerzhaft an mir auf. die gischt der reißerischen wellen, und sind es noch so kleine tropfen, fühlt sich an wie nadelstiche, die mich langsam aber sicher von innen zerlöchern, bis ich diesen abgrund an gefühlen nicht mehr nur an einen ort, meinen bauch zentrieren kann, sondern alles sich ausbreitet. dieses große beängstigende ungeheuer, dieser tiefe schmerz, wird mich übernehmen, wird mich fortschwemmen und ich kann nichts mehr machen. es ist zu spät.


ich höre demon host von timber timbre. es war eines unserer lieder. ich sehe das bild vor mir, er spielte gitarre. das fenster geöffnet, das rascheln der blätter von dem großen baum begleitete das zupfen seiner saiten. seine finger schafften stimmung, schafften magie, sobald mein körper das lied seines spiels erahnte, entspannte ich, fand ein wenig der ruhe, die ich so stark sehnte. er begann zum rhythmischen klang mit zu singen, mein kopf konnte nun abschalten. ich stimmte mit ein und übernahm die zweite stimme. singend, entspannter, ich fand ruhe.


er schaffte das. er schaffte es mit solchen dingen, meine dämonen wieder an ihren platz zu verweisen. er fand mich meist heulend im bett. wobei, es war nicht nur ein heulen. es war ein ”herr, bitte bitte bitte lass mich sterben”-flehen und fest zu stellen, dass ich dieses schmerzhafte leben weiter fühlen muss. es ist ein “ich will raus aus dieser hölle, bitte lass mich weg” und doch in diesem körper mit diesem schmerz gefangen zu sein. ein innerer versuch der abspaltung und doch die begrenzung spürend, die mich immer mit diesem teil verbinden wird. so fand er mich oft, schluchzend, betend, dass ich endlich sterben würde, weil leben nicht lebenswert war.


ich zerfloss, ich war flüssiges leid, das keinen halt, keinen behälter mehr hatte. so nahm er seine gitarre, setzte sich neben mich und spielte. er zupfte die saiten und jedes zupfen kämpfte gegen die nadelstich schmerzende gischt an, betupfte das offene loch mit heilung und versprach geborgenes. während meine tränen noch mehr über meine wangen rollten, unaufhaltsam. weil er mit seiner melodie, mit seiner singenden stimme die grenzen meines behälters wieder fand. die sanftheit des spiels ließ mich in all den stürmischen, hohen wellen wieder grenzen sehen. wieder abstand nehmen. als würde ich plötzlich nicht mehr mitten in diesem meer ertrinken, wasser schmerzhaft schlucken und untergehen. ich sah, dass dieses wilde meer letztlich nur in einem glas war, das geschüttelt wird und mit dem abstand merkte ich, ich könnte eigentlich mitbestimmen, ob und wie lange ich mich in diesem glas befinde. wie stark ich schütteln lasse.


langsam, ganz langsam erdeten die töne meinen körper. die traurigkeit des liedes exzentrierte meine eigene traurigkeit und ich konnte ruhiger werden, schmerz in singen und melodie aus meinem körper lassen. das glas wurde nun nicht mehr so heftig geschüttelt, das meer beruhigte sich langsam.


in dieser dynamik tanzten unsere gegenteiligen seelen. er, der lebenskünstler, der so viel schaffte, mit einer ruhe und klarheit. ich, die so viel litt, so viel probierte, so oft fiel, mit einer verzweifeltheit und dramatik. und immer holte er mich zurück. aus sphären, die mich zerschnitten, meine seele zerdrückte und ersticken ließ. aus sphären, die alle bösen dämonen ins fühlen holte: ohnmacht, verzweiflung, aggression, traurigkeit, angst, hoffnungslosigkeit. konzentriert zu einer wucht an todessehnsucht, weil es nicht aushaltbar war. und nun ist er weg. sein gitarrenspiel wird eine weitere erinnerung sein, ebenso wie unser gemeinsames lachen und all die schönen momente.


umso hässlicher manche situationen sind, umso schöner werden die anderen - das leben in extremen, und wir schwammen von einem zum anderen. ich verweilte eher im destruktiven und rief ihn zu mir, komm her, lass mich nicht allein, ich brauche dich, ich kann nicht ohne dich. in diesen momenten fühlte er diesen starken drang fast zwang, mir zu helfen, weil ich versank und keine anstalten zu schwimmen machte. er sah mich, den mensch, den er so liebte, aufgeben, untergehen ohne an ihn zu denken. egoistisch ließ ich mich treiben und übernehmen von den massen des wassers, der kampf war vorbei, das leben wich aus mir.


und da war seine hand, wie immer, die mich hochriss und schrie: kämpfe! da hatte er es wieder übernommen, meine verantwortung, meinen kampf. er zog mich mühsam und mit viel kraft langsam wieder ans andere extrem. er schwamm für uns beide, kämpfte nicht nur gegen seinen gegenstrom, sondern zog mich auch durch meinen. zog mich zum schöneren extrem des weiteren meers des lebens.


sonnenstrahlen blenden dort mein gesicht, kitzeln meine nase, der geruch nach leben riecht salzig und geheimnisvoll. auf dieser seite des extrems konnte ich entspannen wieder frei lachen, ich fühlte mich wieder lebendig. es war herrlich! ich sah ihn an und sah in seinen augen ein aufatmen, eine erleichterung. ich lachte frei und voll, mein ganzer körper vibrierte. von mal zu mal an dem er mich auf diese seite zog, merkte ich jedoch diesen kleinen stich in mir. der mir sagte, dass ich ihn überforderte, dass ich ihm mich zu sehr zumutete.


er würde immer alles für mich tun bis hin zur selbstaufgabe und dies wäre unser beider tod, weil ich nie schwimmen lernen würde und er keine kraft mehr haben würde für sein schwimmen. ich drückte diesen furchtbaren gedanken weg, lachte, genoss das leben mit sonne und luft, klarem wasser und geheimnisvollem salzgeschmack im mund. und spürte zunehmend diese leere, die ich in ihm fühlte, seine augen konnten nicht mehr ausnahmslos lachen.


da war schmerz, da war erschöpfung, da war leere. er rettete mich nicht nur jedes mal, er übernahm mein fühlen. lange konnte ich es ignorieren, diese gewissheit, sein mit-leiden. das schwimmen von extrem, fallen lassen, gerettet werden, lachen, leben, sterben wollen lenkt gut ab, lässt kaum zeit zum zwischenatmen und nachdenken, wo wer steht. so konzentriert mit mir selber, sah ich nicht, dass es auch ihn immer mehr auf meine destruktive seite schwemmte, er nur für mich die schöne seite wählte.


es schmerzt mich so sehr, diese selbstlosigkeit, seine bedingungslose liebe, meine krankheit, mein nicht können, mein versagen, mein zerstören. fern höre ich seine stimme, die singt: i have become what i most fear and i know there is no such thing as ghosts but i have seen the demon host.


wieder spüre ich diesen tiefen schmerz, der brennt, der alles zerreißt und mir jede luft nimmt. er ist weg, aus meinem leben. er ist nun irgendwo, aber nicht mehr hier. irgendwann verloren wir uns, die stürmischen, erdrückenden wellen zwischen uns wurden zu hoch. wir kämpften beide zu sehr mit dem wasser, das in uns eindrang, uns nach unten zog und dem tod huldigten. wir verloren uns in der schwärze der destruktion, wir sanken beide. und ich wusste, sein glas aus meer hatte ich geschüttelt.




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