Ich fühle mich heute traurig, des regnet und ist grau - das bringt mich immer in so eine Stimmung. Da merke ich wieder, wie sehr ich teilweise noch immer auf äußere Umstände reagiere. Das Ziel für langfristige Zufriedenheit ist, eine positive innere Grundhaltung zu haben - und zwar unabhängig vom Außen.
Mit Borderline fehlte mir das, ich reagierte hauptsächlich auf Trigger. Trigger sind Reize von außen, die in uns in eine Erinnerung oder ein Gefühl auslösen. Vorallem wegen der inneren Leere, die Menschen mit Borderline oft fühlen, das "sich-nicht-spüren", "kein Identitäts-Empfinden" zu haben, reagierte auch ich auf auf diese Trigger.
Trigger: Nachdenklicher Blick von Lehrer - ich interpretierte es als bösen Blick und dachte, dass ich etwas falsch gemacht hatte (Angst).
Trigger: Frau schaut auf meine Jeans (könnte Neugier sein) - ich interpretierte es als Abwertung (Hass).
Trigger: Jemand sagt zwinkernd, dass ich wohl einen großen Hunger habe, weil ich beim Essen nach schöpfe - ich interpretiere, dass diese Person mich zu dick findet (Scham).
Dies läuft unterbewusst und in Millisekunden ab - ich konnte das nicht kontrollieren. So riss es mich von Stimmung zu Stimmung ohne Gegenwehr - weil ich es gar nicht bemerkte. Das dauerte oft so lange, bis meine innere Anspannung aufgrund von Triggern und Stimmungsschwankungen so groß ist, dass ich explodiere.
Gefühle erkennen und Raum geben: Ein Schritt zur Heilung
Für mich war es ein wichtiger Schritt, das zu hinterfragen und mir bewusst zu machen. Warum sollte der Lehrer böse auch mich sein? Warum sollte die Dame meine Jeans nicht gut finden - und selbst, wenn sie es tut, muss es mich stören? Vielleicht habe ich wirklich einen großen Hunger, kann ich einfach mitlachen?
Ich beobachtete sehr viel, was mit meinem Körper passierte und lernte ihn so langsam kennen. Ich beobachtete, wann ich wie reagierte und konnte immer mehr Trigger, die mich aus der Bahn warfen, erkennen. Ich spürte, wenn mich etwas drückte und merkte, hoppla, irgendwas brauche ich jetzt. Irgendwas stört hier. In diesem Prozess lernte ich meine Gefühle zu erkennen, ah - das ist Trauer. Wie ist sie entstanden - ist es tatsächlich meine oder spüre ich da etwas von wem anders? Was brauche ich jetzt? Was brauche ich, wenn ich traurig bin? Ich lernte, dass ich manchmal in Embryostellung ins Bett muss, mit meinem Kuscheltier kuscheln und heulen. Dem Gefühl Raum geben. Und gleichzeitig lernte ich, dass in manchen Momenten das Gefühl ein altes ist oder eines, das ich notwendig ist: Ich habe nichts falsch gemacht. Ich bin nicht dick und hässlich. Es darf mir gut gehen.
Das Ernstnehmen meiner Gefühle lehrte mich, liebevoller mit mir umzugehen. Ich lernte Verantwortung für mich zu übernehmen, indem ich schaute, was ich wann brauchte. Und mit jedem Mal, da ich das schaffte, heilte ein weiterer Teil in mir, weil ich zu mir stand und mich ernst nahm.
Ich wünsche auch dir alles Gute für die Umsetzung und deinen Prozess,
deine Johanna
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